PROSANOVA ist ein Festival für junge Literatur, das organisiert und durchgeführt wird von der Redaktion der Literaturzeitschrift BELLA triste. PROSANOVA gehört für mich ebenso zu Hildesheim wie der Dom, das TfN oder die Uni und die Kulturfabrik. Denn PROSANOVA strahlt ebenfalls über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus, lockt Menschen von nah und fern an und wird irgendwann einmal in die Geschichtsbücher eingehen. Wenn das nicht schon geschehen ist …
Im heutigen KUFA-Blogbeitrag bekommt ihr einen Text, gespickt mit ein paar eher persönlich gefärbten Erinnerungsfragmenten von jac aus der KUFA Fabrikkommunikation.
Der Sommer 2005 war schon im Juni heiß. Ich hatte gerade erst begonnen an der Uni zu studieren und kannte noch nicht viele Menschen, die sich auch für die kulturwissenschaftlichen Studiengänge eingeschrieben hatten. Dann hörte ich von einem kleinen Festival, das in der Bahnhofstraße stattfinden sollte. Es war Freitagnachmittag. Ich entschied spontan, dorthin zu gehen. Ungefähr da, wo jetzt das Restaurant Kapadokya ist, gab es ein leerstehendes Geschäft. Dort, wo das Licht durchs Schaufenster auf Retro-Sessel und geblümte Kaffeetassen fiel. Wo im Hinterhof gekickert wurde. Wo eine Festivalzeitung desnachts an Laptops getippt und auf Bürodruckern vervielfältigt wurde. Dort fand das erste PROSANOVA statt.
Hier sah ich eine noch unbekannte und noch etwas schüchterne Susanne Heinrich das erste Mal lesen. Und hier verbrachte ich drei Tage am Stück – denn am Freitag, als ich losging, ließ ich die Wohnungstür hinter mir ins Schloss fallen, als mir auffiel, dass mein Schlüssel noch auf der Kommode lag. Ich hatte mich also ausgesperrt, aber kein Geld für einen Schlüsseldienst. Ich musste also darauf warten, dass meine Mitbewohnerin aus dem Wochenende mit Heimatbesuch zurückkehrte, und kam so in den süßen Genuss die Geburt eines Festivals mitzuerleben, das 15 Jahre später zu den bundesweit bekanntesten Events für Literatur gehören sollte.
Mehr als Literatur
Vom 11. Bis 14. Juni 2020 ist es wieder so weit. Die Crème de la Crème der deutschsprachigen Nachwuchsliterat*innen trifft, um zu diskutieren, zu tanzen, Fußball zu spielen, Poetiken auszutauschen. Und – natürlich – zu lesen, vorzulesen, lesen zu lassen, gemeinsam zu lesen, miteinander zu lesen und noch mal zu lesen. Aber bei PROSANOVA kann man sich immer sicher sein, dass dieses Festival aus allem etwas Literarisches herausholt und zugleich mehr bietet als Literatur. Bei der diesjährigen Festivalausgabe kommen Teilnehmende und Gäste leider nicht nach Hildesheim, sondern treffen sich online. Und auch die allabendlich das Programm abrundenden Tanzveranstaltungen, die von Anbeginn so gehypt waren wie Partys in der Fabrik von Andy Warhol, sollten in Kooperation mit der KUFA stattfinden. Dazu unten mehr.
2014 hatte ich einen Lehrauftrag am Literaturinstitut, der die Erstellung einer festivalbegleitenden Zeitschrift beinhaltete. Die Grundlagen des Kulturjournalismus samt ihrer grafischen Gestaltung, der Entwicklung eines passendes Layouts in Magazin-Form und Produktion. PROSANOVA hatte eine leerstehende Schule bezogen und in den Fluren hingen, standen, lagen, klebten an Wänden und Fensterscheiben kunstvoll gefaltete Bücher. Ich erinnere mich an eine Nacht, in der die Produktion des PROSANOVA Magazins vom Schreiben übers Diskutieren und Lektorieren bis zur Drucklegung so lange dauerte, dass ich mit den Übriggebliebenen der Zeitungsnachtschicht noch zu den letzten Takten auf der Party in der Turnhalle tanzte. Dann schlief ich zwei Stunden und nahm um 9 Uhr die neue Ausgabe des PROSANOVA Magazins vom Lieferanten der Druckerei entgegen.
Literatur als Event
PROSANOVA gilt inzwischen als bundesweit größtes und bekanntestes Event für junge, deutschsprachige. Die Festivalausgabe 2020 wird 40 jungen Gegenwartsautor*innen eine Plattform sein, ihr Schreiben, ihre Texte und literarischen Verfahren in Hildesheim zu inszenieren. In fast 50 Veranstaltungen wird Literatur in ihrem vielfältigsten Sein einem breiten Publikum aus Fachbesucher*innen des Literaturbetriebs, Hildesheimer Bürger*innen, Studierenden sowie überregionalen Pressevertreter*innen präsentiert. PROSANOVA – das ist junge Gegenwartsliteratur, etabliert oder noch unveröffentlicht, mannigfaltig, literarisch, diskursiv und das Event im Juni in Hildesheim.
Ähnliche Szenen wie 2014 in der Schule gab es 2011. PROSANOVA hatte sich das ehemalige Kasernengelände in der Senator-Braun-Allee zu eigen gemacht. Auch da hatte ich einen Lehrauftrag für die Produktion der PROSANOVA Zeitung. Auch da tanzten wir die Nächte durch, hörten Nachwuchsliterat*innen lesen oder bestaunten begehbare Lyrik in Ivana Rohrs Raum-in-Raum-Installation „nichts bleibt, baby“. Oder wir waren von Elke Erbs lyrischen Alltagsgegenständen beeindruckt. Denn bei PROSANOVA galt schon immer und gilt nach wie vor: Hauptsache es stört kein Wasserglas die Lesung.
Das Motto dieses Jahr: »Glätte und Reibung«
„Die Reibungslosigkeit von Bildschirmen und Benutzeroberflächen bestimmt unseren Alltag. Im digitalen Raum wie im eigenen Stadtviertel gilt, dass Gleiches von Gleichem angezogen wird. Auch technische und organisatorische Abläufe gelten dann als gelungen, wenn sie geschmeidig laufen, das heißt: ihre Machart gegenüber ihrem Ergebnis in den Hintergrund tritt. Das Gegenteil stellen Oberflächen dar, die widerständig sind. Die auf der Haut vielleicht sogar Spuren hinterlassen, sich unangenehm anfühlen, in jedem Fall aber: eine Reaktion erzeugen.“
In zwei Haupt-Programmlinien sollen Textoberflächen untersucht und das Selbstverständnis gegenwärtiger Autor*innen befragt werden. Mehr zur poetischen Position, zu den Gästen, zum Programm und zum Team von PROSANOVA gibt’s auf der Website.
Farbe wurde zum Maßstab: damals Gelb, immer bunt
Das absolute Highlight, das maßstabsetzende, das Non-plus-ultra, das Weihnachtsfest unter den Festivals oder auch der 18. Geburtstag … keine noch so schlechte Metapher könnte umschreiben, was PROSANOVA 2008 war. Ganz Hildesheim erstrahlte im Festival-Gelb, bevor auch nur irgendein Mensch aus Hildesheim wusste, dass gelb unsere Farbe war. Wir erfanden das Guerilla-Marketing. Wir machten die alte Gummifabrik zum Phoenix. Gelbe Topfpflanzen, Kopfhörer, Paletten und weiße Laken – wir kauften so viel davon wie kein*e Student*in zuvor. Wir quartierten Nachwuchsliterat*innen ebenso wie renommierte Bachmann-Preisträger*innen in unseren WGs, bei unseren besten Freund*innen und in einem extra dafür angemieteten Haus mit Terrasse und Panorama-Fenster gen Stadt ein.
Es gab Literatur zum Bestaunen, zum Hören, zum Mitsprechen, zum Sehen, zum Diskutieren. Es gab das Festivaljournal auf Munken Cream Papier. Die Hildesheimer Schreibschule trat gegen die Leipziger Schreibschule ein Kräftemessen an, das zur Tradition wurde: das literarische Fußballspiel. Und ja, es war bereits die zweite Festivalausgabe, die PROSANOVA einen bundesweiten Ruf vermachte. Im Anschluss fuhren für eine Woche nach Sylt und feierten das Festival und die Literatur. Vor allem aber feierten wir uns selbst. Unsere Leistung. Unseren Erfolg. Unser Festival. Denn ab dieser Ausgabe sollte in der Welt der Literaturfestivals nichts mehr so sein, wie es mal war.
Literaturfestival online
Die coronakonforme Variante des Festivals sieht – wie üblich – „ungewöhnliche Lesungen abseits des bekannten Wasserglases mit Tutorials, Workshops, Podcasts und Höranleitungen, live writing Dokumenten und Schreibendem Publikum, Telefonanrufen, Radio und vielem mehr“ vor. Weiter heißt es im Statement auf der Festival-Website: „Es wird ein Festivalpaket für das Festivalfeeling zu Hause geben und Instagram Challenges für die Sichtbarkeit der Gemeinschaft. Wir planen Überraschungen und Wohlfühlmomente und erhoffen uns die Möglichkeit, zu Hause in kleinen Kreisen das Gefühl von PROSANOVA zu verwirklichen.“
Unter den aktuellen Umständen könnte PROSANOVA sich also wieder einmal selbst übertreffen und im digitalen Raum neue Maßstäbe setzen, einen ungeahnten Standard etablieren und der Literatur wieder einmal ein neues, interessantes Gesicht verleihen.
Literaturfestival jetzt
Der Ticketverkauf hat bereits begonnen. Die Teilnehmer*innenzahlen für manche Formate sind begrenzt, beeilen lohnt sich also. Die Party am Samstag, 13.06., findet in Kooperation mit der KUFA statt. Die KUFA und PROSANOVA streamen gemeinsam auf mehreren Plattformen. Wann, wo, was, wie viel? Findet ihr in unserem Programm.