2022 ist das Jubiläumsjahr des Vereins der Kulturfabrik Löseke. Schon seit 30 Jahren ist die ehemalige Papierverarbeitungsfabrik offiziell ein buntes Zuhause für Soziokultur. Überall finden sich Spuren der Zeit und besondere Geschichten, die oft mit einer zündenden Idee begannen und dann eine eigene Dynamik entwickelt haben. Alexandra Riffel, die Leitung der Fabrikkommunikation der KUFA, erzählt sie in dieser monatlich erscheinenden Kolumne.
Allein in den Büroräumen?
Im zweiten pandemiebedingten Lockdown 2020 war es ungewöhnlich still in der KUFA, nur wenige Menschen kamen in die Fabrik. An einem kalten Dezembertag traf ich beim Kaffee kochen einen Unbekannten in den Büroräumen, er stellte sich als Stan Frost vor und wollte auch einen Kaffee, schwarz mit Zucker. Natürlich kamen wir ins Gespräch. Stan Frost ist Regisseur, eigentlich wollte er nach Hamburg, um mit einem Bananenfrachter zurück nach Vancouver zu fahren, stieg jedoch aus Versehen in Hildesheim aus und landete in der KUFA. Dort traf er die Standard Head Company, „eine ziemlich wilde Theaterbande“, die gerade dabei war, einen Musikfilm zu drehen. Weil es abgelaufenes Bier, viel Platz und die Möglichkeit gab, einen kreativen Film zu machen, blieb Frost den Winter über in Hildesheim und übernahm die Regie.
Eingesperrt im Probenraum
Im Frühjahr 2022 treffe ich Frost wieder, als ich auf der Suche nach einem Aufnahmegerät bin und mich aus Versehen im Probenraum einsperre. Frost hört mein Rufen, öffnet die Tür und lädt mich ein in den Probenraum nebenan, in dem die Standard Head Company probt. Frost ist extra aus Kanada gekommen, um nochmal zu proben, die Aufführung steht kurz bevor.
Zeit für ein Hansa-Pils
Hinten im Proberaum finde ich Platz und ein Hansa-Pils. 26 Pfennig steht auf dem Preisschild, es ist seit 2004 abgelaufen – aber gut. Ein Überbleibsel von der Produktion „Staub“, erzählt mir ein Crewmitglied. Eng ist es im Probenraum, aber wahrscheinlich ist hier genau so viel Platz, wie in dem kleinen Ladenlokal an der Steingrube, in dem die Company 2018 „Don Quichote“ aufführte. Insgesamt fünf Produktionen hat die Standard Head Company schon inszeniert und umgesetzt – mit wechselnden Besetzungen. Plötzlich wechselt der Musikstil der Band, er schwankt von Rock´n Roll auf Westernmusik um, es wird an der Gitarre geziept und auf einmal sitzen wir im Saloon, die Luft ist zum Schneiden, geschwängert von Moder, Schweiß und Tabakqualm. Wann wird little Pete hingerichtet? Verwirrt reiße ich die Augen auf – und bin wieder im Probenraum.
Ohne Anarchie geht’s nicht
Am Arsch, sage ich laut. Die Crew lacht und fängt an zu erzählen. „Am Arsch“ hieß nämlich eine der Produktionen, dafür waren sie extra auf einen Campingplatz gefahren, um in Ruhe zu proben – aber sie waren nicht allein. Alt-Nazis, Teile der RAF und Soldaten mischten mit. Weg kam die Crew jedoch nicht mehr, denn es herrschte eine Umweltkatastrophe. Überlebt hat zumindest die Crew, ein Theaterstück und eine CD mit 50 Tracks kamen auch raus. Pandemien und Krisen ist die Standard Head Company gewöhnt, kreatives Chaos ist beabsichtigt und ohne Anarchie geht es nicht. „Die Ideen entstehen immer irgendwie und irgendwo“. Die Haltung beruhigt mich. „Keine Macht für niemand“ grölt der Bassist auf dem Sofa. Schon wieder gibt der Schlagzeuger einen neuen Takt an, mein Bier ist leer, ich verabschiede mich von der Crew. Und bin gespannt auf die nächste Produktion.