Drei Jahrzehnte Soziokultur
von Karen Roske
Die KUFA bringt nicht nur Kultur zu den Leuten, sondern auch Leute zur Kultur. Nach ihren soziokulturellen Projekten sind die Stadt und der Alltag ihrer Bewohner*innen nicht mehr dieselben.
Die Initialzündung in den 90ern
„Grabungen in der Nordstadt“ hieß das erste große Projekt der jungen KUFA – und fast 30 Jahre später wundert sich Stefan Könneke: „Komischerweise haben wir damals ganz viel richtig gemacht!“ Die Gründergeneration kam frisch aus der Uni und hatte wenig Erfahrung, aber viel Energie (und ABM-Stellen, dazu später mehr). Statt sich selbst zu verwirklichen, bat das Projektteam die Nordstädter*innen als Expert*innen für ihren Stadtteil um persönliche Geschichten: Nachbar*innen, Schulklassen und Seniorenkreise gruben ihre Erinnerungen und Träume aus. Am Ende gab es im Oktober 1994 szenische Spaziergänge, Ausstellungen im Bahnhof sowie im stillgelegten Stahlwerk und in privaten Fenstern, Guckkästen und Hörstationen an Laternenpfählen, Open-Air-Kino am Ottoplatz, Konzerte und Tanzabende und noch viel mehr. „Das hat uns zu einer Heimat verholfen“, erinnert sich der Mitgründer und Co-Geschäftsführer. „Danach waren wir in der Nordstadt nicht mehr die Fremden.“ Die 70-seitige Dokumentation lässt heute noch staunen über das prallvolle, vielfältige Programm.
Damit war ein gutes Jahrzehnt für die Soziokultur angebrochen, in dem das KUFA-Team viel ausprobieren und lernen konnte. 1998 gab es erstmals einen städtischen Zuschuss. Vor allem kamen der Soziokultur damals die staatlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) zugute: „Wir hatten gut ausgebildete und angemessen bezahlte Leute, die ein ganzes Jahr an einem Projekt arbeiten konnten“, berichtet Stefan Könneke. „Heute stellen wir in derselben Zeit vier Projekte auf die Beine, aber mit weniger Personal, das schlechter bezahlt wird!“ Tatsächlich waren diese ABM-Stellen Sprungbretter für viele Kulturwissenschaftler*innen von der Uni Hildesheim. Dagegen kann die KUFA heute für sogenannte Arbeitsgelegenheiten (AGH) übers Jobcenter nur eine Art Aufwandsentschädigung anbieten – kaum attraktiv für ambitionierte Uni-Absolvent*innen.
Über Grenzen gehen im zweiten Jahrzehnt
Ganze drei Jahre und 360 Kilometer lang war ein zweiteiliges Projekt ab 2005, zweifellos das größte: Unter dem Motto „Perlon & Parolen“ beleuchtete die Hildesheimer KUFA mit dem freien Lokalradio Cora aus Halle/Saale die Alltagskultur der 1950er-Jahre in Ost und West, die Nachkriegszeit und den Wiederaufbau. Mit Zeitzeug*innen, Künstler*innen, Schulklassen und Interessierten entstanden Zeitschriften, Radiobeiträge und zahlreiche Veranstaltungen in den beiden Partnerstädten. Im Folgeprojekt „Interzone“ wurde die ganze Regionalbahnstrecke dazwischen zu einem soziokulturellen Kunstparcours an allen 16 Bahnhöfen. Dafür bekam die KUFA 2006 den hochkarätigen Bürgerpreis zur deutschen Einheit von der Bundeszentrale für politische Bildung.
„Dieses Ost-West-Projekt hat uns zwar viel Lob und viele Erkenntnisse gebracht. Ich durfte sogar mit Angela Merkel und dem damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler einen Gottesdienst besuchen – aber in den Orten entlang der Bahnstrecke Halle-Hildesheim blieb das Echo doch eher gering“, gibt Stefan Könneke zu bedenken. „Der Radius war einfach zu groß im Verhältnis zur möglichen Wirkung. Wir haben damit die Welt nicht verändert.“ Es klingt vielleicht selbstironisch, aber das täuscht: Nichts Geringeres ist der Anspruch bei all dem Aufwand.
Zurück zu den Wurzeln, aber nachhaltig
Auf ihrer soziokulturellen Erfahrungsreise durchs dritte Jahrzehnt bespielte die KUFA mit ihren Netzwerkpartner*innen das Innerstetal (Innerste Blau), Scheunen, Gärten und Kneipen im Landkreis (Live in der Pampa) oder die Wallanlagen (Hildesheimer Wallungen) … und kam mit vielen neuen Erfahrungen zurück. „Hier in der Nordstadt können wir wirklich etwas bewegen“, ist Stefan Könneke überzeugt. Das ist inzwischen unübersehbar: Die „Nordstadt Wandgalerie“ bringt seit 2017 persönliche Geschichten der Bewohner*innen als riesige Wandbilder in den öffentlichen Raum. Unter dem Titel „Beautyful People“ erzählen sie von ihren Vorbildern, „Fabelhaft“ sind ihre Fantasie- und Lieblingstiere, ihre „Innensichten“ machen die Straße zum Wohnzimmer. Neuerdings gibt Hildesheim Marketing dazu einen Street-Art-Stadtplan heraus – die Nordstadt wird zur touristischen Sehenswürdigkeit.
„Vor unserer Tür ist noch vieles verbesserungswürdig“, meint Stefan Könneke. „Da liegt unsere Berufung und der Sinn unserer Arbeit.“ Um Leerstand, Verwahrlosung und Anonymität nachhaltig zu begegnen, sei aber bereichsübergreifende Projektarbeit nötig. Deshalb kooperiert die KUFA verstärkt mit Schulen und anderen Bildungsträgern, sozialen Anlauf- und Beratungsstellen, Sportvereinen oder Polizei. „Jeder trägt seine Perspektive bei und in der gemeinsamen Schnittmenge profitieren alle!“
Zum Beispiel am Ottoplatz: Da wird im „Faserwerk“ statt Hochkultur leichter zugängliches Handwerk angeboten. Nachbar*innen, die einander bisher kaum grüßten, nähen und basteln, kochen und backen dort gemeinsam. Sie pflegen die Blumenbeete vor der Tür, wo plötzlich fast kein Müll mehr liegen bleibt. Der Ottoplatz ist wieder zum Begegnungsort geworden, auf dem das Leben spielt. Da hat sich ein kleines Stück Welt verändert.