„Mainstream gibt es schon genug“

Schräg, frech, experimentierfreudig: Eines der ältesten soziokulturellen Zentren Deutschlands feiert Geburtstag. Seit 30 Jahren bietet die Kulturfabrik Löseke, kurz KUFA, Veranstaltungen aller Art: Konzerte und Partys, Comedy und Kabarett, Lesungen und Workshops.

Die Fabrik für Musik, Bühne und Stadtkultur organisiert aber nicht nur ein eigenes Programm, wie die Konzertreihe „Jazz & Wine“ oder die „Hilde tanzt!“-Partys. Sie fungiert auch als Spielstätte und Dienstleister für andere Initiativen und Vereine. Beispielsweise wird die Fabrikhalle einmal monatlich zum Spielort des KleinKunstReihers – und der Club VEB veranstaltet jeden Mittwoch ein kostenfreies Konzert mit Musik abseits der Charts. Den Formaten sind keine Grenzen gesetzt: „Man kann mit jeder verrückten Idee zu uns kommen“, so Stefan Wehner, der die KUFA gemeinsam mit Stefan Könneke leitet. Jamsessions und Bieryoga finden ihren Platz neben Drum’n‘Bass-Tanzkursen und Impro-Theater. Konzertagenturen können sich in die Räume der Fabrik einmieten, Studierende richten hier ihre Erstsemesterpartys aus. Für Künstler und Künstlerinnen stellt der Verein Ateliers bereit – und wer noch einen Grill für die nächste Gartenparty braucht, leiht sich diesen in der Kulturfabrik. „Wir sind Ermöglicher“, erklärt Stefan Könneke. Alle Menschen bekommen eine Chance, sich auszuprobieren, solange die Formate der ethischen Etikette entsprechen. Stefan Wehner fasst zusammen: „Die KUFA ist für alle da – außer für Arschlöcher.“

Geht es nach ihm, soll auch das Angebot für Kinder und ältere Menschen ausgeweitet werden. Schließlich hat sich die Fabrik zum Ziel gesetzt, alle Alters-, Bildungs- und Sozialschichten zu integrieren. Bislang gelingt dies vor allem durch Stadtteilarbeit. So ist der Verein auch außerhalb des eigenen Hauses Organisator und Beteiligter vieler Projekte. Mit dem innerhäuslichen Programm sei es aber schwierig, eine so große Bandbreite der Gesellschaft anzusprechen, so Stefan Wehner. Das bestätigen auch die Kooperationspartner*innen Gerd Günter und Sabine Zimmermann. Gerd Günter ist Vorstandsvorsitzender der Interessengemeinschaft IQ. Diese hat zwar ihre Geschäftsstelle in der Kulturfabrik; privat betritt Günter die Fabrik aber nur selten. Das Programm richte sich mehr an ein junges, linkes Publikum; „weniger an Spießbürger“, so seine Feststellung. Sabine Zimmermann, Geschäftsführerin des Netzwerks Kultur & Heimat, ergänzt: „Die KUFA ist frecher als andere Kulturinstitutionen.“ Vielen sei sie damit zu unangepasst und experimentell – „das ist aber auch in Ordnung. Man muss nicht alle ins Boot holen.“

Dass sich der Verein so lange halten konnte, liegt an seiner Resistenz, glaubt Sabine Zimmermann. „Die KUFA erfindet sich stetig neu.“ Ein Beispiel dafür ist die Fabrikkneipe „Apotheke“, kurz Apo, die im August 2021 in den Räumen der ehemaligen Studio-Bar eröffnete. Oder auch der neue Biergarten „Gleis 7“ auf einem Grünstreifen hinter dem Haus. „Eine schräge Idee“, findet Gerd Günter und bleibt etwas skeptisch: „Da muss man schauen, ob sich das Konzept trägt.“

Auch ihr Image hat die Kulturfabrik in den letzten Jahren verändert. „Wir sind professioneller geworden“, so Stefan Wehner. „Früher hatte die KUFA das Image eines rotzigen, sehr alternativen soziokulturellen Zentrums“, erinnert sich Sabine Zimmermann. „Heute ist sie ein ernstzunehmender und verlässlicher Geschäftspartner.“ Für das Netzwerk Kultur & Heimat sowie für die Interessengemeinschaft IQ ist die Kooperation mit der Kulturfabrik unverzichtbar, stellt diese doch die komplette Logistik bei vielen Veranstaltungen bereit – von der Bühne bis zum Strom. „Ohne die KUFA würde es den IQ nicht geben“, ist Gerd Günter überzeugt.

Vegi-Brunch am Vormittag, danach in den Biergarten und abends zur Technoparty: In Hildesheim gibt es nur wenige Kulturorte mit einem so dichten Programm. Das Angebot soll niedrigschwellig sein – dies gelingt unter anderem durch günstige Eintritts- und Getränkepreise. Die KUFA arbeitet gemeinnützig, ohne kommerziellen Hintergedanken. Dennoch ist man auf Einnahmen durch Veranstaltungen angewiesen. Denn bislang wird der Verein vor allem durch Projektförderung unterstützt. Im Gegensatz zu den soziokulturellen Zentren anderer Städte steht ihm ein geringeres Haushaltsvolumen zur Verfügung. „Ohne ein gehöriges Maß an Selbstausbeutung würde die Arbeit nicht funktionieren“, stellt Gerd Günter bedauernd fest. Er habe großen Respekt davor, dass vielen Mitarbeitenden der KUFA eine sinnstiftende Tätigkeit wichtiger ist als ein hohes Einkommen. So auch Stefan Wehner, eigentlich gelernter Innenarchitekt: „Ich will durch Kulturarbeit an der Entwicklung der Gesellschaft beteiligt sein.“ Dass sich dieser Idealismus bei den Mitarbeitenden noch weitere 30 Jahre halten kann, bezweifelt er – und hofft, ihn nicht zugunsten der Geldbeschaffung opfern zu müssen. „Ich vermisse die Wertschätzung seitens der Politik, dass wir unsere Arbeit für die Menschen in Hildesheim machen“, gibt er zu. Schließlich sinkt das kulturelle Angebot im Landkreis, weshalb vor allem junge Menschen die Stadt verlassen. Als gemeinnütziger Verein ist die Kulturfabrik nicht nur ein wichtiger Teil der Hildesheimer Kulturszene – sondern auch Weichensteller vieler Projekte, die es sonst vielleicht nicht gäbe. „Das muss möglich bleiben“; findet Stefan Wehner. Denn: „Mainstream gibt es schon genug – wir wollen das Leben abseits davon aufrechterhalten.“

Kristel Döhring, freie Journalistin